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10.950 Worte/71500 Z.

Die unglaubliche Zeitreise des Professor William C. Hollyfield

SF-Geschichte von Ulrich K. Hefner

Die Geschichte, die ich ihnen heute erzählen werde, ist so unglaublich, so unfassbar und phantastisch, dass sie mich hinterher einen Lügner und Scharlatan nennen werden. Doch glauben sie mir, jedes einzelne Wort, jeder Buchstabe, jedes Detail davon ist wahr, dafür verbürge ich mich mit meinem Namen.
Zunächst möchte ich mich ihnen erst einmal vorstellen. Ich bin Sir Reginald Hemmington, Biologe, Träger des Ritterordens Ihrer Majestät der Königin, und Ehrenmitglied der königlichen wissenschaftlichen Gesellschaft Londons.
Mein ganzes Leben widmete ich der Wissenschaft, obwohl ich frühzeitig erkannte, in welche dunkle Abgründe gewissenloser Forscherdrang und hemmungsloser Wissensdurst die Welt führen konnte.
Nun, da ich 78 bin und der Tod mich erwartet, möchte ich ihnen die wahren Begebenheiten um die Geschehnisse in Eltham vor 45 Jahren erzählen, obwohl wir, Sir Arthur Williams, der ehrenwerte Richter Adams und Colonel Fitzgerald uns damals hoch und heilig in die Hand versprachen, niemals mehr darüber ein Wort zu verlieren.
Dennoch will ich im Angesicht des nahen Todes mein Gewissen erleichtern. Dies ist mein Geständnis an sie, an die Welt und an Gott. Ich lebte ein gutes, ein ehrliches und gesegnetes Leben. Der Herr allein ist mein Zeuge.

All dies, was sie nun zu hören bekommen, nahm seinen Anfang im kalten März des Jahres 1928.
In diesen Tagen, ich war gerade von meiner dritten Expedition aus dem Amazonasdelta ins kalte und triste England zurückgekehrt, traf ich auf einer meiner Vorlesungen vor der königlichen wissenschaftlichen Gesellschaft in London auf Colonel Fitzgerald, der mich für den nächsten Tag in sein Haus einlud. Ich freute mich sehr darüber, denn der alte Fitzgerald gehörte zu den führenden Förderern der Wissenschaft und war außerdem Vorsitzender des Finanzausschusses des wissenschaftlichen Rates.

So kleidete ich mich am darauf folgenden Abend, es war ein Mittwoch, in mein bestes schottisches Tweed, bestellte eine Kutsche und fuhr damit in den Norden Londons, wo die größten, üppigsten und schönsten Herrenhäuser der Stadt standen. Fitzgerald gehörte eines davon. Als ich vor dem großen Portal stand und klopfte, öffnete ein Diener in schmucker Livree, grüßte freundlich, nahm mir Mantel und Hut ab und führte mich zielstrebig in den Salon.
Dort hatten sich schon ein paar Herren mittleren Alters versammelt. Einige hatte ich bereits gesehen, die anderen waren mir unbekannt. Ich grüßte freundlich und ließ mich auf einem bequemen Sessel nieder.
Es dauerte eine Weile, bis Fitzgerald in Begleitung von Sir Williams, dem Vorsitzenden des wissenschaftlichen Rates und Richter Adams, einem glühenden Förderer der Wissenschaft, erschien. Er grüßte mit strahlendem Lächeln und führte uns in das Nebenzimmer, wo eine festlich geschmückte, mit Kerzenleuchtern und echtem Meißner Porzellan bestückte Tafel auf uns wartete. Er bot uns Platz an und ich suchte mir einen Stuhl zwischen zwei unscheinbaren Herren. Fitzgerald stand an der Schmalseite des Tisches und wartete geduldig, bis jeder Besucher Platz genommen hatte. Dann klopfte er mit einer Gabel gegen sein Glas und der helle Ton ließ nach und nach das Stimmengewirr im Raum verstummen. Als endlich Ruhe eingekehrt war, räusperte sich Fitzgerald und sagte: "Meine Herren, ich möchte sie zu diesem kleinen Abendessen in meinem Haus herzlich begrüßen. Es erfüllt mich mit Stolz, dass sie meiner Einladung gefolgt sind. An dieser Tafel haben sich das Herz und die Seele der Zukunft unserer Nation versammelt.
Als junge und aufstrebende Wissenschaftler werden sie ihren Weg machen. Davon sind wir überzeugt."
Sein vielsagender Blick wanderte über unsere Gesichter. Schließlich ergriff er erneut das Wort.
"Sir Williams und Richter Adams sind ihnen hinlänglich bekannt, doch da ich nicht sicher bin, ob sich alle bereits kennengelernt haben, will ich die Herren einander vorstellen."
Nach und nach nannte er die Namen der Anwesenden und ihre wissenschaftlichen Fachgebiete. Als er mich vorstellte, erhob ich mich und deutete eine Verbeugung an. Nun war die Reihe an dem Tischgast links neben mir angelangt. Ein ältlich und schrullig wirkender Herr in billigem und reichlich zerknittertem Anzug, kaum größer als einssechzig und wohl schon knapp an die fünfzig Jahre alt. Mit seiner runden Brille auf der Nase, den wirren weißen Haaren und dem ungepflegten Schnauzbart wirkte er an diesem Tisch wie ein Fremdkörper.
An diesen Mann gewandt, fuhr Fitzgerald mit seiner Begrüßungsarie fort und sagte:
"Eine besondere Ehre ist es für mich, Professor William Hollyfield zu begrüßen. Er gilt als führender Physiker in unserem Land, verbringt allerdings die meiste Zeit in seinen Labors und meidet für gewöhnlich derartige Gesellschaften. Professor, ich danke ihnen um so mehr, dass sie heute erschienen sind."
Ein leises Lächeln der Anwesenden begleiteten Fitzgeralds Worte. Hollyfield schien dies nicht zu stören, seine Augen wanderten aufgeregt hin und her, fast so, als wären sie auf der Suche nach etwas Bestimmten.
Fitzgerald räusperte sich und fuhr unbeeindruckt mit seiner Rede fort.
"Sie werden sich nun alle fragen, warum ich sie in mein Haus gebeten habe. Obwohl dieser Rede noch ein kleines Mahl folgen wird, kann dies nicht alleine der Grund für meine Einladung sein.  
Doch an dieser Stelle möchte ich das Wort an Sir Arthur Williams übergeben und bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit."
Zarter Applaus erfüllte den Raum. Der Angesprochene erhob sich, schob seine Brille zurecht und musterte uns mit prüfendem Blick. Dann sagte er mit tiefer Stimme: "Meine Herren, wir haben sie heute hier zusammengerufen, da sie ausgewählt wurden, an einem kleinen, aber lukrativen Wettbewerb unserer Gesellschaft teilzunehmen. Jeder Einzelne unter ihnen gilt als talentierter Gelehrter auf seinem Gebiet. Mister Abcott als Mediziner, Mister Harolds als Geologe, Mister Simon als Chemiker, Mister Stone auf dem Sektor der Astronomie, Mister Hemmington ist für seine Forschungsreisen an den Amazonas bekannt und Professor Hollyfield gilt als bedeutender Physiker. Sie alle haben eines gemeinsam. Sie alle arbeiten an  neuen Forschungsprojekten. Jeder für sich, jeder in seinem Labor.
Wir haben uns nun entschlossen, einen Preis auf die beste akademische Arbeit in diesem Jahr auszusetzen. Es geht um die Summe von 10.000 Pfund Sterling. Eine Jury, bestehend aus dem ehrenwerten Richter, dem Colonel und meiner Wenigkeit wird entscheiden, welcher ihrer Beiträge diesen Preis wert ist. Wir werden uns, sofern sie dazu bereit sind, in genau einem halben Jahr wieder hier versammeln und ihre Forschungsergebnisse prüfen, bewerten und schließlich auch prämieren."
Nun war alles gesagt. 10.000 Pfund Sterling waren eine berauschende Summe. Sie würde mir meine Arbeit wesentlich erleichtern und überdies mein Auskommen auf Jahre hinaus garantieren. In den Augen der anderen sah ich, dass sie ähnlich darüber dachten, nur Hollyfield schien unbeeindruckt. Er hatte offenbar gefunden, wonach er gesucht hatte. Auf einer Serviette, die er vom Tisch genommen hatte, begann er hastig und ohne Unterlass zu schreiben. Ich erhaschte nur einen kurzen Blick, doch die Aufzeichnungen wirkten auf mich wie Hieroglyphen.

Nach Sir Williams´ Ansprache, war der offizielle Teil des Abends beendet, denn schon wurden die Türen geöffnet und eine Schar Diener und Hausmädchen in blendend weißen Jacken und Schürzen strömten in den Saal und trugen erlesene Speisen auf.
Später wurde es noch ein anregender und gelöster Abend. Nachdem wir gegessen hatten, zogen wir uns in den Salon zurück. Ich unterhielt mich bei einem Glas Scotch mit Mister Abcott und bald waren alle in lockere Gespräche vertieft. Alle, bis auf einen. Professor Hollyfield hatte sich in eine stille Ecke des Salons zurückgezogen und beschrieb nach wie vor eifrig die Serviette.
Als ich zufällig in seine Nähe kam, fragte ich lächelnd: "Professor, sie finden wohl nie die Zeit, sich zu entspannen." Ertappt blickte er auf. Er wirkte wie ein Schüler, den man mit einem Spickzettel erwischt hatte. Doch schon huschte ein gekünsteltes Lächeln über sein Gesicht.
"Ach wissen sie, das ist so eine Sache mit der Zeit. Wenn ich meine Arbeit beendet habe, dann habe ich Zeit im Überfluss. Doch noch ist es nicht soweit", antwortete er mit ruhiger Stimme und schon senkte er wieder seinen Kopf, um sich weiter seinen Aufzeichnungen zu widmen. Ich wollte nicht unhöflich erscheinen und ließ ihm seine Ruhe, doch seine Worte, die zunächst wie hohle Phrasen wirkten, blieben mir noch einige Zeit in Erinnerung. Den wahren Sinn jedoch erkannte ich erst später.
Es war kurz nach elf Uhr, als mich eine Kutsche zurück nach Deptford brachte.

Ich bewohnte ein kleines Häuschen in der Catfordroad, eine ehemalige Schmiede südlich der Themse. Hier war mein Reich. Drei große Gewächshäuser hatte ich mir in den weitreichenden Garten gebaut, mit einem aufwendigen
Rohrleitungssystem beheizt und abgeschirmt von der kalten und farblosen Außenwelt Londons.
Ich muss zugeben, dass mich die Aussicht auf 10.000 englische Pfund ungeheuer angespornte. So arbeitete ich zusammen mit meinem Gehilfen Stearn bald Tag und Nacht an meinem Projekt. Unzählige unbekannte Tier- und Pflanzenarten waren mir auf meiner Expedition begegnet. Zahllose Wurzeln, eine schier unendliche Zahl an Samen und Trieben hatte ich von meiner Exkursion durch den tropischen Urwald am Amazonas mitgebracht. Alle mußten registriert, katalogisiert, den Stämmen und Familien zugeordnet werden, so dass nach einer Weile mein Besuch bei Fitzgerald in den Hintergrund trat.
Eines Tages, unverhofft, hielt eine Kutsche vor meinem kleinen Anwesen. Colonel Fitzgerald stattete mir einen  Besuch ab. Es waren wohl fünf oder sechs Wochen vergangen und ich hatte in dieser Zeit tüchtig Fortschritte gemacht. Meine Gewächshäuser waren farbenfroh geziert mit allerlei südamerikanischen Pflanzen und Orchideen, so dass ich sogar ein bisschen stolz darüber war, Fitzgerald durch mein kleines Reich führen zu können - wenn es mir anfänglich auch peinlich war, ihn in derber und schmutziger Arbeitskleidung zu empfangen.
Fitzgerald war sichtlich beeindruckt von der Schönheit und Artenvielfalt, die meine Gewächshäuser zu bieten hatten, so dass er sich später bei einer Tasse Tee nur lobend über meine Arbeit ausließ. Als ich ihm dann noch meine Aufzeichnungen präsentierte, die mittlerweile über vierhundert Pflanzensorten und etwa zweihundert Tier- und Fischarten umfassten, penibel beschrieben und kunstvoll gezeichnet, war er beinahe sprachlos.
Kurz bevor er sich verabschiedete sagte er noch: "Damit sind Sie der Auszeichnung unserer Gesellschaft ein großes Stück näher gekommen, zumal sich die Zahl der Kandidaten mittlerweile, so tragisch es sein mag, auf vier reduziert hat."
Ich dankte ihm, ohne seine Rede wirklich zu begreifen. Erst als er in die Kutsche stieg und ich nochmals über Fitzgeralds Worte nachdachte, wurde mir die Tragweite klar. So fragte ich unverblümt nach dem Grund seiner Anmerkung.
"Hemmington, Hemmington", sagte er mit einem mitleidigen Lächeln auf den Lippen, "Sie haben die letzten Wochen wohl nur in ihren Gewächshäusern zugebracht und die Zeit ist spurlos an ihnen vorübergezogen?"
Ich nickte, denn er hatte Recht. Viel Zeit für das kulturelle Leben in London und andere Dinge verblieben mir nicht, wollte ich meine Arbeit bis zum Herbst des Jahres beenden.
"Dann sind ihnen die schicksalhaften Wendungen, die unseren kleinen Wettbewerb überschatten, sicherlich entgangen. Aber ich will es ihnen sagen, so traurig die Sache auch ist. Mister Simon weilt nicht mehr unter den Lebenden. Ein Experiment in seinem Labor verursachte eine Explosion. Er verbrannte bis zur Unkenntlichkeit. Jede Hilfe kam zu spät. Und den armen Mister Harolds ereilte sein Schicksal bei einer Exkursion in die Gramipan Mountains. Man sagt, er sei in einen Felsspalt gestürzt und habe sich dabei den Hals gebrochen. Das Leben ist ein seltsam Ding." Nachdem er dem Kutscher ein Zeichen gegeben hatte, schloss er die Tür und fuhr davon. Als Fitzgerald längst schon hinter der nächsten Straßenkreuzung verschwunden war, stand ich noch immer mit offenem Mund und erschrockenen Augen, wie zur Salzsäule erstarrt, am Wegesrand. "Unfassbar", fuhr es mir durch den Kopf.

Die Tage vergingen und der Frühling zog über das Land. Eine fruchtbare Zeit, auch für meine Arbeit. Aus vierhundert verzeichneten Pflanzen wurden sechshundert, außerdem gelang es mir erstmals einige südamerikanische Knabenkrautgewächse mit Trieben hiesiger Arten zu kreuzen. Dadurch stärkte ich ihre Widerstandsfähigkeit, so dass es mir gelang, diese Kreuzungen außerhalb meiner belüfteten Gewächshäusern anzusiedeln. Sie wuchsen und gediehen, als hätten sie niemals irgendwo anders gestanden, als in meinem Garten in Deptford.
Dennoch währte die Freude bei mir nicht lange. Ein tragisches Unglück erschütterte mein Leben. Es war an einem Samstag im Mai, als ich meinen Gehilfen Stearn auf verhängnisvolle Weise verlor. Bei einem nächtlichen Kontrollgang durch eines meiner Gewächshäuser löste sich an der Decke eine Glasscheibe aus ihrer Fassung und erschlug den armen Kerl, just als er durch die Türe schritt. Es war ein herber Schlag für mich, war er mir doch stets ein eifriger Gehilfe und ebenso treuer Freund. Für Trauer hatte ich keine Zeit, wollte ich mein Ziel noch rechtzeitig erreichen. So vieles war noch zu tun. Tag um Tag arbeitete ich weiter, immer in der Gewissheit, dass Stearn genau dieses von mir erwartet hätte.
Als der Sommer Einzug hielt und die Welt ihr pastellfarbenes Gesicht in saftiges Grün und helles Gold verwandelte, erfuhr ich von einem weiteren Vorfall, der einen meiner Konkurrenten betraf. Der Astronom James Stuart Stone war nach einer unrühmlichen Affäre mit der jungen Ehefrau seines Mäzens und Förderers Lord Burleigh des Hauses verwiesen worden.
In den Kreisen der Gesellschaft war bekannt, dass Lord Burleigh den jungen Stone bei seiner Arbeit finanziell unterstützte und ihm sein Herrenhaus in Gloucester zur Verfügung gestellt hatte. Ganz London tuschelte hinter vorgehaltener Hand über den gehörnten Lord, der sich, bald an die siebzig, die jüngste Tochter des reichen Kaufmannes Tavistock ins Haus geholt hatte. Es hieß, dass die junge Mary-Ann zusammen mit Stone London mit unbekanntem Ziel verlassen habe.
Damit waren außer mir nur noch zwei Aspiranten auf die ausgesetzte Belohnung im Rennen. Ich widmete mich auch den Sommer über, zugegeben etwas mitleidlos, meiner Arbeit und schrieb all meine Aufzeichnungen fein säuberlich in einem Buch nieder. Die Federzeichnungen gestaltete ich farbig, wobei ich oft Nächte lang in meiner Stube saß und im Kerzenlicht bis zum frühen Morgen arbeitete.
Das gesellschaftliche Leben Londons ging unterdessen wieder seinen gewohnten Gang, wenngleich ich keine Zeit dafür fand. Ich nahm es in Kauf, schließlich hatte ich ein Ziel vor Augen, ein Ziel, für das sich der Aufwand lohnte.
Als die ersten Herbststürme über das Land zogen, hatte ich meine Arbeit beendet. Ein gebundenes Buch, fein säuberlich gedruckt, mit einer Auflistung von über siebenhundert Pflanzen und zweihundertfünfzig Tierarten, geordnet nach ihrer Herkunft,  ihren einzelnen Gattungen und Familien, bis ins Detail beschrieben, aufwendig gezeichnet und liebevoll zusammengestellt, lag vor mir auf dem Tisch. Ich war zufrieden.
Ende September, ich erholte mich von den Strapazen der letzten Wochen und versuchte den entgangenen Schlaf des vorübergezogenen Jahres nachzuholen, klopfte es an meiner Tür. Ein Bediensteter Fitzgeralds überbrachte mir eine Einladung. Zwar war die angesetzte Zeit noch nicht ganz verstrichen, dennoch störte es mich nicht weiter,

war ich doch am Ende meiner Arbeit angelangt, und jeder  Tag der vor mir lag, steigerte meine Ungeduld.
Natürlich hoffte ich darauf, dass meine Arbeit entsprechenden Anklang bei der Jury fand. So wartete ich ruhelos, bis der Rest der Woche vergangen war und es endlich Samstag wurde.
Zuvor brachte ich noch meinen besten Anzug zur Wäscherei, schließlich wollte ich eine gute Figur abgeben.

Endlich war es soweit, nervös bestieg ich an diesem Abend die Kutsche, welche mich hinüber nach Islington bringen sollte. Ich umklammerte mein Buch, als ob ich mitten in der Themse schwamm und dieser schwarze Karton das einzige war, das mich vor dem Ertrinken retten konnte.
Wiederum stand ich vor Fitzgeralds Haus. Ein Diener öffnete. Er führte mich in den Salon und ich erwartete, dort zumindest Abcott und Hollyfield wieder zu treffen, doch ich war allein. Verdutzt blickte ich auf die Wanduhr. Es war kurz vor acht. Ich war also nicht zu früh. Ich gebe zu, dass es mir etwas unwohl zumute war. Warum war ich alleine? War nicht abgesprochen, dass wir uns alle nochmals in Fitzgeralds Haus treffen sollten? Sollte ich nicht erfahren, was meine
Mitkonkurrenten zu bieten hatten?
Eine tiefe Verunsicherung erfüllte mich. Die Zeit schlich dahin. Es war wie eine Erlösung, als Fitzgerald, gefolgt von Richter Adams und Sir Williams, den Raum betrat. Sie kamen auf mich zu und begrüßten mich herzlich.
"Ich freue mich, Mister Hemmington, dass sie unserer Einladung gefolgt sind. Nun, da die Zahl der Bewerber auf ein Minimum geschrumpft ist, wird die Vergabe unseres Preises wohl ein recht einfaches Unterfangen", sagte Fitzgerald und lächelte mir aufmunternd zu. Er bemerkte wohl meinen fragenden Ausdruck im Gesicht, denn schnell fuhr er fort: "Nach den tragischen Vorfällen, die Mister Harolds und Mister Simon das Leben kosteten und dem unrühmlichen Zwischenfall im Hause Burleigh, erfuhr ich gestern, dass Mister Phillip Abcott einen tragischen Jagdunfall erlitten hat und bei einer Fuchsjagd im irischen Golden Vale so unglücklich vom Pferd stürzte, dass er verstarb. Sie, Mister Hemmington, sind nun noch der einzige Bewerber. Professor Hollyfield ist seit Tagen unbekannten Aufenthalts. Es war uns nicht möglich, ihm eine Nachricht zuzustellen. Ich hoffe, sie können uns wenigstens ihre Arbeit präsentieren?"
Ich nickte stumm und ergriff mein Buch, das ich auf einem kleinen Tisch abgelegt hatte. Stolz überreichte ich Fitzgerald mein Werk, noch immer in Gedanken, welche Tragweite Fitzgeralds Worte für mich hatten. Ich wähnte mich am Ziel meiner Träume. 10.000 Pfund gehörten mir und niemand, kein Mensch der Welt, würde mir mein Salär noch streitig machen.
Fitzgerald nahm das Buch und blätterte darin. Adams und Williams schauten ihm dabei über die Schulter. In ihren Augen lag ein sonderbarer Glanz und dies machte mich um so sicherer. Ich hätte laut jauchzen mögen, doch ich verbiss mir diese Anwandlungen und blickte den Herren stumm und regungslos zu, wie sie sich über meine Arbeit
hermachten und Seite um Seite durchblätterten. Ab und an erklang ein erstauntes "Aha" oder ein lobendes "Soso" aus ihren Mündern. Plötzlich schlug Fitzgerald das Buch zu.
"Mister Hemmington, wie es scheint, haben sie sich sehr viel Mühe gegeben und überdies einige erstaunliche Entdeckungen gemacht. Wir werden ihr Werk eingehend prüfen. Allerdings verstreicht die gesetzte Frist zur Einreichung der Arbeiten erst Ende nächster Woche. So lange werden wir noch auf Mister Hollyfields Beitrag warten müssen. So er bis dahin überhaupt noch auftaucht.
Aber nun lassen sie uns zum gemütlichen Teil des Abends übergehen. Das Abendessen ist vorbereitet."
Wir saßen an diesem Abend noch lange zu Tisch. Die riesige Tafel hatte sich auf vier Personen verkleinert und ich muss sagen, dass sich die anfängliche Bedrückung angesichts der harten Schicksalsschläge meiner Mitkonkurrenten den ganzen Abend über nicht  verflüchtigte. Zuerst war Abcotts Jagdunfall ein Thema, dann kamen wir über Stone, Harolds und Simon schließlich auf Hollyfield, den verschwundenen Physiker zu sprechen.
Niemand wusste wo er war, wo er sich aufhielt und an welchem Projekt er arbeitete. Seit dem ersten Treffen zu Beginn des Jahres hatte ihn niemand mehr zu Gesicht bekommen. Einzig und allein der Umstand, dass er vor ein paar Wochen bei einem Händler in Woolwich Unmengen von Dolomit und Magnesit erworben hatte, war von ihm bekannt und zeigte, dass er noch unter den Lebenden weilte. Vier Kutschen voller Mineralerze habe man daraufhin hinaus nach Eltham gefahren, wo Hollyfield in einem ehemaligen Fabrikgelände sein Forschungslabor eingerichtet hatte.
Dies war das letzte, was man von ihm hörte.

Ich muss zugeben, dass ich die nächste Woche müßig aber dennoch frohen Mutes anging. Schließlich waren die 10.000 Pfund für mich zum Greifen nah. Um so betrüblicher wurde es, als am darauf folgenden Donnerstag die Dinge eine ungeahnte Wendung nahmen. Wiederum klopfte ein Bote Fitzgeralds an meiner Tür und überbrachte mir eine Depesche. Es war eine Einladung für den Abend, doch diesmal nicht nach Islington, sondern nach Eltham in die Hastingsroad. Es sei eine dringende Angelegenheit, hatte Fitzgerald noch vermerkt und er entschuldigte sich für seinen kurzfristigen Überfall. Mein Frohsinn war wie weggeblasen. Hollyfield schien sich gemeldet zu haben, denn soviel ich mich noch erinnerte, war der angegeben Treffpunkt Hollyfields Adresse.
Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als ich mich an diesem Abend auf den Weg machte. Es nieselte, war kalt und der berühmte Londoner Nebel zog von der Themse herauf. Ich nannte dem Kutscher die angegebene Adresse und nach einer zwanzigminütigen Fahrt stoppte er schließlich vor einem schäbigen und halbverfallenen Steinhaus. Hollyfields Reich spiegelte sich im fahlen Licht einer Gaslaterne und ich dachte noch bei mir, dass er mir damals bei der ersten Begegnung fast ähnlich kläglich und heruntergekommen erschienen war, wie dieses düstere Haus im Westen Londons.
Ich durchquerte den dunklen und schmutzigen Hof und war gottfroh, als mir Hollyfield nach mehrfachem Läuten öffnete.
Ich erschrak, als ich ihn im Licht der Laterne erblickte.

Er schien um Jahre gealtert zu sein. Die wenigen grauen Haare hingen wirr herab und sein Gesicht wirkte noch faltiger und runzeliger, als damals in Fitzgeralds Haus. Er trug einen dunklen, abgewetzten Anzug, bei dem die Ärmel bereits aufgescheuert waren, und der ehemals weiße Stehkragen wirkte im Licht der Gaslaterne speckig und grau. Er hatte sich zweifelos verändert. Er schien
nachdenklicher, fahriger und noch verlorener als damals, fast so als habe sein ehemals wacher Geist den äußerlichen Verfall eingeholt. Er lächelte mir gezwungen zu und bat mich ins Haus. In einer geräumigen, aber unordentlichen und verstaubten Stube, warteten bereits Fitzgerald, Richter Adams und Sir Williams ungeduldig auf meine Ankunft. Helles Licht, Stromlicht, durchflutete den Raum und erfüllte die Gesichter der Anwesenden mit einem unnatürlichen Glanz. Alle schienen gespannt darauf, was Hollyfield zu präsentieren hatte. Mir ging es ebenso.
Hollyfield ordnete unterdessen ein paar Unterlagen und bat uns schließlich an einen Tisch. Nachdem wir dort Platz genommen hatten, bot er uns Tee an.  Wir nahmen dankbar an. Es dauerte noch eine Weile, bis vor uns die dampfenden, wenn auch nicht ganz reinen Tassen standen. Hollyfield hatte wohl niemanden, der ihm die Hausarbeit abnahm. Er lebte alleine, galt als eigenbrötlerisch und hatte meines Wissens nach weder eine Haushälterin noch einen Gehilfen. Vielleicht war er einfach nur zu geizig.
"Meine Herren, es ist mir eine große Ehre, dass sie meiner Einladung in dieses Haus gefolgt sind. Selbst wenn sie es später bereuen. Eine frühere Zusammenkunft war mir nicht möglich, da ich ... wie soll ich sagen, ... da ich verreist war", sagte er geheimnisvoll, und seine kleinen Augen funkelten nervös. "Außerdem", so fuhr er fort, "möchte ich sie im Voraus schon darüber informieren, dass ich keinerlei Ambitionen hege, am Wettbewerb teilzunehmen. Geld ist mir nun, nach alle dem was ich getan habe, nicht mehr wichtig."
"Oho, hört, hört", bemerkte Sir Williams ein bisschen verschnupft, ob der Worte des Professors.
"Sir Williams, Master Fitzgerald, ehrenwerter Richter Adams und Mister Hemmington", ergriff Hollyfield nochmals das Wort und die Art und Weise, in der er unsere Namen nannte, klang irgendwie feierlich, "Was ich ihnen heute zu sagen habe, wird ihnen die Sprache verschlagen, wird sie mit soviel Verwunderung und Erstaunen aber zugleich auch mit Grauen und Abscheu erfüllen, dass sie mich entweder für einen Wahnsinnigen  oder für ein Genie halten werden. Doch das, meine Herren, überlasse ich alleine ihrem Urteil. Ich lege mein Leben in ihre Hände"
Ungläubige Blicke flogen unter uns hin und her und ich las in den Augen der Anwesenden, dass sie ähnlich dachten wie ich. Entweder ist Hollyfield übergeschnappt oder er hat tatsächlich eine revolutionäre Entdeckung gemacht.
"Nun gut, Professor, sie haben uns natürlich schon eine gehörige Portion Appetit gemacht, doch nun, so denke ich, ist Zeit für den Hauptgang", bemerkte Richter Adams nach einer kurzen Pause trocken.
Wir alle starrten Hollyfield neugierig an, doch dieser zierte sich wie eine Jungfrau.
"Bevor ich ihnen Weiteres erzähle, appelliere ich an ihre Vernunft und an ihre Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit. Versprechen sie mir, dass sie ihre Entscheidung nicht alleine von meinen Taten abhängig machen, sondern dass sie sich vor allem von ihrem Geist leiten lassen."
Er musterte uns eindringlich und ich muss zugeben, dass mir sein durchdringender Blick einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Er schien auf unsere Zustimmung zu warten. Minuten des Schweigens vergingen. Schließlich taten wir ihm einhellig den Gefallen und murmelten gemeinsam unser Einverständnis. Zufrieden schaute Hollyfield nun drein, als er vor uns trat und eine Karte entrollte. Die Erdkugel war darauf zu sehen, gehüllt in rätselhafte horizontal und vertikal verlaufende Linien. Fast schien es, als seien die einzelnen Längen- und Breitengrade nochmals unterteilt. Ehrlich gesagt, ich konnte überhaupt nichts mit dieser Darstellung anfangen.
"Ehrenwerter Richter, sie wollen den Hauptgang und haben noch nicht einmal die Vorspeise genossen", sagte Hollyfield tiefgründig.
"Schon gut, Hollyfield. Heraus damit. Welchen Beitrag leisten sie zur weiteren Entwicklung unserer Welt", munterte Fitzgerald den Professor auf. Hollyfield suchte sichtlich nach den richtigen Worten. Schließlich sagte er mit leiser Stimme: "Seit mehreren Jahren widme ich meine ganze Kraft der Erforschung der Zeit."
Mein Blick streifte den Richter und wanderte zu Fitzgerald, ehe er auf Sir Williams überraschter Miene  haften blieb. Ich sah das verborgene Schmunzeln in ihren Gesichtern.
"Die Zeit ist für uns eine relative und schwer fassbare Sache. Wir kennen sie als Maßeinheit für unser Leben, doch zugleich ist sie unsere Fessel, die uns in diesem Zeitabschnitt gefangen hält", fuhr der Professor fort und seine Stimme klang nun gefestigt, so als referiere er gewohnt und sicher vor einem Auditorium der wissenschaftlichen Gesellschaft, "Was nun, wenn die Zeit nichts anderes ist als eine Illusion, was wenn wir diese Fessel zerschneiden könnten? Was ist das große Geheimnis der Zeit?"
Fragend blickte er in unsere Gesichter. Das anfängliche Schmunzeln auf Sir Williams Gesicht
hatte sich in ein offenes, fast mitleidiges Lächeln verwandelt. Fitzgerald hingegen blickte eher skeptisch. Auch auf meinem Gesicht lag wohl so etwas wie ungläubiges Erstaunen.
"Nun gut", fuhr er nach einem Moment des Schweigens fort, "ich dachte mir schon, dass sie mir nicht glauben werden. Auch ich war zuerst ungläubig, glaubte, meine Sinne hätten mir einen Streich gespielt, doch es war die Realität. Ich reiste durch die Zeit, war in unserer Vergangenheit und in der Zukunft, habe gesehen, woher wir kamen und wohin uns unser Weg führen wird."
Nun konnten Sir Williams und Richter Adams ihr spöttisches Lachen nicht mehr länger unterdrücken. Auch Fitzgerald und ich fielen in das Gelächter ein, doch Hollyfield ging unbeirrt in eine Ecke des Raumes und rückte einen kleinen Beistelltisch ins Licht. Eine Decke war darüber gefaltet. Hollyfield zog sie vorsichtig herunter, fast so, als würde er eine kostbare Statue enthüllen. Inmitten des Tisches kam eine Uhr zum Vorschein, an den Tischseiten waren kupferglänzende Spulen installiert. Unzählige Kabel verliefen von Spule zu Spule, bevor sie dann in einem kleinen grauen Kasten verschwanden und nur zwei, ein rotes und ein schwarzes, wieder zum Vorschein kamen. Diese führten schließlich zu der vierten Spule am Rande des Tisches. Die gesamte Konstruktion befand sich unter einer gläsernen Glocke.
Das Lachen verstummte, und interessierte Blicke folgten dem Professor, der nun zwei Kabel in den Händen hielt.
"Nun passen sie auf", sagte er, "Ich werde ihnen  beweisen, dass der Erdmagnetismus nicht nur dazu taugt, uns auf dem Planeten zu halten, sondern dass er auch maßgeblich die Zeitströme beeinflusst. Sobald ich Energie in die Spulen leite, erzeuge ich ein Magnetfeld, doch durch diese Konstruktion, ich nenne sie Polarisationskonverter - er zeigte auf den grauen Kasten - verändert sich die magnetische Feldstärke und eine Art Blase dehnt sich aus, dabei entsteht eine Zone, in der keinerlei Anziehungskraft mehr vorherrscht. Darin ist die Bindung zwischen Raum und Zeit neutralisiert. Es ist, als ob sie einem Rennpferd die Fesseln abstreifen. Die Menge der umgewandelten Energie bestimmt, wie weit und in welche Richtung man durch die Zeit reist."
Ich muss zugeben, dass ich so gut wie nichts von dem was Hollyfield sagte verstand, doch so wie mir schien es auch den anderen Anwesenden zu gehen. Bis auf Sir Williams, ihm waren die Gesetzmäßigkeiten der Physik vertraut. Doch in seinem Gesicht las ich, das er Hollyfield nicht glaubte.
"Hollyfield, mit welchem magischen Hokuspokus wollen sie sich die ausgesetzte Summe erschwindeln?", sagte er kalt. Damit aber hatte er Hollyfield getroffen. Fast etwas beleidigt antwortete dieser: "Ich möchte ihnen nochmals erklären, dass ich keinerlei Interesse an dem ausgesetzten Preisgeld habe und ihnen dies hier alles aus einem ganz anderen, viel wichtigeren Grund zeige. Ich bin noch immer auf dieser langen Reise, doch mittlerweile weiß ich, dass es kein Zurück mehr gibt. Es gelang mir zwar die Fesseln der Zeit für einige Momente abzustreifen, jedoch ist meine Konstruktion noch nicht ausgereift und hat, wie soll ich sagen, leider noch ein paar wesentliche Fehler. Dazu allerdings später."
Er sagte es in einem ernsten, fast feierlichen Ton, so dass schließlich auch Williams Kritik verstummte. Dann klemmte er die Kabeln an den Generator und schob den Regler für die Stromzufuhr ein paar Zentimeter nach vorne. Funken stieben auf, ein fluoreszierendes Leuchten erfüllte die gläserne Glocke und ein tiefes Brummen war zu vernehmen. Immer weiter schob er den Hebel voran und schließlich flackerte die Lampe an der Zimmerdecke. Als das Licht ganz und gar ausfiel, starrten wir wie gebannt auf den kleinen Tisch. Ein grünlicher Schimmer erfüllte den Raum, und aus dem Brummen wurde ein dumpfes Brausen. Nur kurz wandte ich mich ab. Mein Blick streifte Hollyfield, doch ich konnte meinen Augen nicht trauen. Er stand hinter dem Tischchen und es schien, als ob seine Konturen verschwammen. Bei Gott, ich schwöre, für den Bruchteil einer Sekunde wurde er regelrecht durchsichtig, so als bestünde er aus Glas. Als er den Hebel in die Gegenrichtung drückte, flammte das Licht wieder auf, das Brausen verstummte und auch das magische Funkeln erlosch. Alles war, als ob nichts geschehen wäre. Doch als mein Blick auf die Uhr der sonderbaren Konstruktion fiel, waren die Zeiger eine ganze Stunde weiter gewandert.
Hollyfield bemerkte meinen fragenden Gesichtsausdruck und sagte: "Meine Herren, schauen sie auf die Uhr, wir sind der Zeit nun eine ganze Stunde voraus."
"Hollyfield, sie glauben wohl ich bin ein alter seniler Mann, der auf einen solch billigen Trick hereinfällt. Sie haben nichts anders getan, als die Uhr magnetisiert. Nur deshalb sind die Zeiger weiter gewandert. Das ist nichts anderes als billiger Humbug", polterte Sir Williams ärgerlich und erhob sich von seinem Platz. Zu uns gewandt sagte er: "Meine Herren, ich bin nicht länger gewillt, mir diesen Unsinn anzuhören. Der Professor ist wohl übergeschnappt. Ich werde jetzt gehen, einen schönen Abend noch!"
Schon eilte er schnellen Schrittes auf die Türe zu. "So, glauben sie, dann schauen sie auf ihre eigene Uhr", sagte Hollyfield mit einem überlegenen Lächeln auf den Lippen.
Sir Williams verharrte. Seine Verärgerung war ihm anzusehen, doch er schien nicht recht zu wissen, was er tun sollte. Schließlich winkte er ab und ging weiter, doch noch bevor er an der Tür war, hörte man einen Ausruf des Erstaunens. Richter Adams hatte seine Taschenuhr hervorgezogen und schaute mit unglaublicher Verwunderung auf das Ziffernblatt. Auch Fitzgerald schien es nicht zu fassen. Es schien tatsächlich eine ganze Stunde vergangen, obwohl der Versuch nicht länger als eine Minute gedauert hatte.

"Wahrscheinlich hat das Magnetfeld auch unsere Uhren beeinflusst", erklärte Sir Williams abfällig, nun ebenfalls seine Taschenuhr in der Hand haltend. Dennoch ging er keinen Schritt weiter. Es war kurz vor zehn Uhr. Zweiflerisches Schweigen erfüllte den Raum. Niemand wagte auch nur ein Wort zu sprechen. Plötzlich drangen dumpfe Glockenschläge von draußen herein. Die Glocken der Sankt Josephs Church. Eins, zwei, drei, jeder zählte in Gedanken mit. Zehn Schläge. Es war also keine Täuschung, zehn Glockenschläge schickte die Turmuhr zu uns herüber. Sir Williams schien fassungslos. Er taumelte auf seinen Platz zurück. So langsam reifte in uns die Erkenntnis, dass dies mehr als nur ein fauler Zaubertrick war. Hatte Hollyfield tatsächlich die Zeit verändert, wo war die fehlende Stunde? Plötzlich erhob sich das Brausen erneut. Obwohl Hollyfields Hände den Hebel für die Stromzufuhr nicht berührten, war ein elektrisches Knistern zu hören. Dann durchzuckte ein greller Blitz den Raum, so grell, dass er mir in den Augen schmerzte. Für Sekunden sah ich nur noch dunkle und helle Flecken, die sich wie ein Karoteppich über meine Augen legten. Es dauerte eine Weile, bis ich wieder richtig sehen konnte. Ich schaute in Fitzgeralds fragendes Gesicht, doch auch Sir Williams und Richter Adams schienen überrascht, fast sogar erschrocken. Als mein Blick Hollyfield erfasste, saß er zusammengesunken, mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einem Stuhl. Er wirkte erschöpft und seine Haut war blass, fast durchsichtig. Er brauchte ein paar Minuten, bis er wieder kräftig genug war und sein Teint die menschlich rosige Farbe zurückgewonnen hatte.
Eine lastende Stille herrschte im Raum, ein jeder schwieg beklommen. Nur die Glocken der Turmuhr von Sankt Joseph sprachen zu uns. Leise nur drangen sie in den Raum, doch für uns war jeder Ton wie ein Donnerschlag. Ungläubig schaute ich auf die gläserne Uhr, dann holte ich erneut meine Taschenuhr hervor. Kein Zweifel, es war neun Uhr. Die Stunde war zurückgekehrt.
Jetzt bestanden keine Bedenken mehr, Hollyfield hatte eine revolutionäre Entdeckung gemacht. Er war alles andere als ein Spinner. Doch noch bevor ich etwas sagen konnte, stöhnte Hollyfield laut auf und sank von seinem Stuhl. Wiederum erfüllte ein elektrisches Knistern den Raum und das Licht begann zu flackern. Hollyfield krümmte sich am Boden und seine Konturen verschwammen. Sein Körper schien in ein magisch grünes Licht gehüllt und er löste sich vor unseren Augen auf. Für Sekunden war er verschwunden, einfach weg, unsichtbar, doch dann tauchte er wieder auf. Das Leuchten verschwand. Besinnungslos lag er vor uns. Aschfahl war sein Gesicht.
Gelähmt vor Schreck saß ich auf meinem Stuhl. Fitzgerald war der erste, der sich von diesem  Schock erholte und sich erhob, um zu Hollyfield zu eilen. Doch noch bevor er bei ihm war, kehrte das Leben in dessen Körper zurück. Hollyfield stöhnte laut, schließlich richtete er sich auf und taumelte wie ein Betrunkener zu seinem Stuhl. Er atmete schwer.
"Hollyfield, mein Gott, was ist mit ihnen?", rief ihm Richter Adams zu, doch er hob nur abwehrend die Hände.
"Nur noch einen Augenblick, es geht schon wieder", stöhnte er. Wir warteten und waren gespannt, was er uns zu erzählen hatte. Schließlich schob er langsam seinen Stuhl zum Tisch hinüber. Dann schaute er jedem einzelnen von uns in die Augen.
"Hollyfield, was haben sie nur getan. Sie haben Gott herausgefordert", sagte Sir Williams betroffen.
"Nein, es ist noch viel schlimmer, ich habe die Grenze überschritten. Die Grenze zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, zwischen der Gegenwart, der Zukunft und der Vergangenheit. Ich habe dieses unsichtbare Band zerschnitten, nun weiß mein Körper nicht mehr, wohin er gehört und wandelt wie ein Geist durch das Raum-Zeit-Gefüge. Die Häufigkeit der Anfälle nimmt ständig zu. Ich brauche dringend ihre Hilfe"
"Aber, wie können wir ihnen helfen?", fragte Fitzgerald.
"Ich weiß genau, was zu tun ist, doch zuvor möchte ich ihnen alle meine Erlebnisse schildern. Ich habe durch meinen unbändigen Wissensdurst das Tor zur Hölle aufgestoßen. Nun wartete Luzifer selbst darauf, die Welt in das dunkle Nichts zu reißen. Sie müssen mir einfach glauben."
Seine flehenden Augen flogen von Gesicht zu Gesicht, fast so als wolle er unsere Gedanken lesen. Als mich sein Blick traf, nickte ich unmerklich. Schließlich erzählte er mit zitternder Stimme: "Alles begann vor einem Jahr, ich hatte meine Versuche abgeschlossen und war mir sicher, dass alles genauestens vorbereitet und durchdacht war. Deswegen entschloss ich mich zu dem letzten Schritt, den ein Wissenschaftler tun muss, um endgültige Gewissheit zu erlangen. Ich entschied mich für den Selbstversuch. Also baute ich mein Experiment aus und schuf in meinem Labor eine Kabine, in der ein Mensch meiner Grösse durch die Zeit reisen konnte. Ich muss zugeben, dass mir zu Anfang nicht wohl bei der Sache war, doch alles was ich bislang auf die Reise durch die Zeit geschickt hatte, war wieder vollkommen intakt und am Stück zurückgekehrt. Also machte ich mich ans Werk.
Zuerst schickte ich einen Hasen, dann eine Ziege und schließlich ein Schwein durch meine Zeitmaschine. Alle verschwanden, kehrten aber bald darauf wieder wohlbehalten zurück. So fasste ich schließlich den Mut und stieg selbst hinein. Zuvor baute ich die notwendigen Steuerinstrumente in meine Kabine ein, damit ich sie auch von innen  bedienen konnte.
Meine erste Zeitreise führte mich in die Vergangenheit. Ich erlebte die dunklen Zeiten der Pestilenz, sah in die verunstalteten Gesichter der Toten, die auf den Gassen und Höfen zuhauf umher lagen und atmete den Gestank des Elends und des Feuers. Schließlich erhöhte ich die Energiezufuhr und reiste zurück, bis in das Mesozoikum. Ich sah den Vater aller Vögel, den Pteranodon, seine Kreise am Himmel ziehen. Doch all dies waren nur kurze Eindrücke, Augenblicke, Fragmente und nicht viel mehr.  Meist dauerte mein Aufenthalt nie länger als wenige Sekunden, bevor ich in meine Zeit zurück gezwungen wurde. Und immer war ich ein stiller und untätiger Beobachter.
Fieberhaft arbeitete ich weiter und mir gelang es, die Phasenverschiebungen zu kompensieren und den Aufenthalt in der anderen Zeitzone auszudehnen. Aus wenigen Sekunden wurde schließlich bald eine ganze Minute. Vor etwa einem Monat gelang mir der endgültige Durchbruch. Ich hatte die Unstimmigkeit in der Formel entdeckt und wusste nun, welche Kraft wirksam wurde und mich immer wieder nach kurzer Zeit in die Gegenwart zurückwarf. Es war ein Sog, ausgehend vom Zeittunnel und dessen rotierender Achse, der durch eine wechselnde Polarität zumindest abgedämpft werden konnte. Schließlich modifizierte ich meine Zeitmaschine, und es gelang mir die Zeitachse zu stabilisieren, indem ich die Spulen und den Konverter neu ausrichtete und eine gegenläufige Rotation des Magnetfeldes erzeugte. Meine nächste Reise führte mich in die Zukunft. In das Jahr 2125. Diesmal konnte ich auf Anhieb einen ganzen Tag dort verweilen, doch ich geriet mitten hinein in einen Krieg. Es war aber kein Krieg der  Menschen untereinander, es war ein Krieg zwischen dem kümmerlichen Rest der Menschheit und künstlich geschaffenen Wesen. Replikanten nennen sie diese. Genaue Abbilder von uns und doch künstlich gezeugt. Die Replikanten kämpften um die Weltherrschaft und hatten schon weit über drei Viertel der Menschheit ausgelöscht.
London lag in Schutt und Asche. Der Tower, das Parlament, Sankt Patrick, Westminster, alles war niedergebrannt und zerstört. Wie ein Geist irrte ich durch die zerborstenen Häuserschluchten, kletterte über riesige Schutthalden, vorbei an ausgebrannten und zerschossenen Mauern, bis ich schließlich auf eine kleine und mutige Gruppe von Menschen am Trafalgar Square stieß. Coran hieß ihr Führer, ein großer und kräftiger Kerl, intelligent und kampfesmutig führte er die kleine Schar aus sieben Männern und fünf Frauen an. Zuerst hielten sie mich für einen ihrer Feinde und nahmen mich gefangen, doch nachdem sie mich mit einem kleinen geheimnisvollen Gerät, nicht größer als eine Taschenuhr, untersucht hatten, ließen sie schließlich von mir ab und nahmen mich mit in ihr Versteck. Bei Finsbury gerieten wir in  einen Hinterhalt. Wir fielen einer Patrouille der Replikanten in die Hände, doch es gelang uns, sie zurückzuschlagen und wir entkamen. Die Replikanten sind unheimlich Kerle. Sie sind groß und kräftig, doch ihre Gesichter verbergen sie unter riesigen Helmen. Sie tragen eine Art Uniform, die mit einem Schutzpanzer ausgerüstet ist. Das Material ist nahezu undurchdringlich aber dennoch elastisch.
Sie haben Waffen, die einen gebündelten Lichtstrahl verschießen. Dieses Licht durchdringt selbst dicksten Stahl und versengt das Mauerwerk, während die Menschen sich mit Schusswaffen zur Wehr setzen, die zwar unzählige Patronen innerhalb einer Sekunde verschießen, doch oftmals wirkungslos am Schutzpanzer der Replikanten abprallen. So grausam es klingen mag, wirksam sind meist nur Schüsse in den Kopf.

Es gelang Coran und seiner Gruppe, drei Replikanten auszuschalten, doch auch vier Menschen wurden von deren Strahlenwaffen regelrecht zu Asche verbrannt. Ein hoher Preis für unsere Flucht. In der Gruppe gibt es ein Mädchen, wohl nicht viel älter als zwanzig. Fiora ist ihr Name, doch auch sie ist eine mutige Kämpferin und kann mit ihren Waffen umgehen. Sie erzählte mir, dass es auf der gesamten Welt so aussähe und die Replikanten langsam die Oberhand gewannen. Der Kontinent wäre schon gefallen, und aus den anderen Regionen waren seit Wochen keine Nachrichten mehr herein gekommen. So konnte sie nur für Britannien sprechen. Sie erzählte mir, dass sich überall  kleine zersplitterte Gruppen herumtrieben und der Widerstand auf breiter Ebene längst schon zusammengebrochen war. Sie nahmen mich mit in ihr Lager, einer Höhle in der Nähe der Southwark Street. Dort erzählte mir Fiora, dass die Replikanten nicht nur über eine bessere Bewaffnung und Ausrüstung verfügten, sondern mittlerweile auch sämtliche Rohstoffvorkommen kontrollierten. Sie zeigte mir das erbeutete Waffenarsenal. Auch dort gab es die gleichen Strahlenwaffen, wie sie die Replikanten gebrauchten, doch sie waren nutzlos. Sie hatten keine Munition dafür. Ich erfuhr, dass diese Waffen ihre Kraft aus Magnesiumoxyd schöpften, doch Magnesium war knapp und wurde von den Klonen gehütet wie Augäpfel."
"Aha, deswegen", entfuhr es mir.
Hollyfield schaute mich fragend an.
"Ich meine, deswegen haben sie vor ein paar Wochen mehrere Wagenladungen Magnesit und Dolomit bei einem Händler geordert".

Hollyfield nickte, dann fuhr er mit seiner Erzählung fort.
"Ja, dies war der Grund. Mir wurde klar, dass diese Gruppe meine Hilfe brauchte, und wenn es kein Magnesiumoxyd mehr in der Zukunft gab, dann musste ich es eben aus der Vergangenheit holen. Die Menschheit dort steht vor ihrer endgültigen Vernichtung und es ist meine Pflicht, alles zu tun, was in meiner Macht steht, um dies zu verhindern. Deshalb habe ich mittlerweile in meinem Labor genügend Magnesiumoxyd hergestellt, um diese Gruppe und viele andere Gruppen zu unterstützen. Als ich an diesem Abend in meine Zeit zurückgerissen wurde, versprach ich ihnen zu helfen.
Bei meiner zweiten Reise ins Jahr 2125 wurde ich bereits sehnsüchtig erwartet. Beinnahe hätten mich die Replikanten gefangen gesetzt, denn das Zeittunnel öffnete sich diesmal an einer anderen Stelle als zuvor. Etwa einhundert Meter südlich meines Hauses. Ich stellte also fest, dass ich zwar die Zeit, aber nicht den Raum mit letztlicher Sicherheit kontrollieren konnte. Abweichungen waren möglich. Ich entkam ihnen nur knapp und versteckte mich wie eine Ratte in der Kanalisation, bis der Stoßtrupp vorüber war.
In der Kürze der Zeit hatte ich nur wenig Magnesiumoxyd fertiggestellt, doch für Fiora war es ein Segen.
Als ich Corans Lager erreichte, wurde ich wie ein alter Freund begrüßt. Es gelang, Kontakt zu mehreren Splittergruppen aufzunehmen und auch diese mit Magnesiumoxyd zu versorgen. Mittlerweile ist der Widerstand organisiert und die ersten größeren Erfolge haben sich eingestellt. So konnte der Sender in Kensington unter Kontrolle gebracht und in einer gemeinsamen Aktion dreier Gruppen ein Stützpunkt der Replikanten am Sommerset-House eingenommen werden. In den vier Tagen meines Aufenthaltes spürte ich den neuen Mut unter den Menschen. Coran war viel unterwegs, draußen in den Außenbezirken und auf dem Land. Ich glaube, dort entwickelt sich ebenfalls ein geordneter Widerstand. Coran scheint so etwas wie ein Führer dieser Bewegung zu werden, und er bat mich um Unterstützung. Weitaus größere Mengen Magnesium werden benötigt und in meinen Labors lagert genug davon.
Nach vier Tagen in der Zukunft, riss mich der Magnetstrom zurück in die Gegenwart. Sogleich begannen diese Anfälle. Als wenig später auch alles organische Leben, das ich im Rahmen meiner Experimente durch meine Zeitmaschine geschickt hatte, ähnliche Symptome aufwies und schließlich für immer ins Nichts verschwand, wurde mir so manches klar. Ich weiß nun, dass ich bald sterben werde, doch ich weiß, ich habe den Tod verdient.
Der entstandene Riss im Zeittunnel muss für immer verschlossen werden. So lange die Spulen hier in diesem Haus existieren, droht die Gefahr, dass das Raum-Zeit-Gefüge kollabiert. Die Folgen für diese Welt wären fatal und unbeschreiblich. Es gibt nur einen Weg. Die Spulen und der Konverter müssen unmittelbar nach einer Teleportation polarisiert überlastet werden, bis der Zeittunnel in sich zusammenstürzt.
Natürlich könnte ich meine Zeitmaschine selbst zerstören, doch damit wäre mir jede Möglichkeit genommen, das restliche Magnesium in die Zukunft zu bringen. Nur ich kann dies bewerkstelligen, das heißt, sofern sie mich ziehen lassen und nicht der Justiz übergeben."
"Hollyfield, was haben sie getan?", sagte Sir Williams bestürzt. Hollyfield blickte schuldbewusst zu Boden, dann sagte er mit brüchiger Stimme:
"Ich verspreche ihnen, dass ich mich ihrer Entscheidung fügen werde, auch wenn sie mich in den tiefsten Kerker Londons führen würde und ich dort auf mein Ende warten müsste. Aber urteilen sie nicht, ohne ihre Entscheidung sorgfältig abzuwägen."
Seine Worte klangen heißer, als er mit seiner unglaublichen Geschichte endete. Ratlos und schweigend blickten wir uns an. Schließlich erhob sich Hollyfield und bat uns, ihm zu folgen. Er führte uns in den Keller. Dort unten hatte er sich die Räume zu einem Labor ausgebaut. Wir durchquerten den Gang und gelangten mitten hinein in sein Geheimnis.
Der Raum war kaum sieben Quadratmeter groß und mit einer massiven, bleiverkleideten Türe versehen. Riesige Spulen, fast einen halben Meter hoch, waren in den Ecken auf halber Höhe an die Wand geschraubt. Inmitten des Raumes stand die hölzerne Kabine. Sie wirkte auf mich wie ein Sarg. Kabel führten hinein. Die Türe stand offen und mein Blick fiel auf zwei Leinensäcke, die in der Kabine auf Hollyfield zu warten schienen.
Im ganzen Raum roch es nach Elektrizität. Ich weiß, es mag ihnen komisch erscheinen, doch ich behaupte einfach, dass Strom seinen eigenen metallischen Geruch entfaltet.
Hollyfield ging auf die Kabine zu, doch auf halben Weg verharrte er und wandte sich zu uns um.
"Mister Hemmington, Sir Williams, ehrenwerter Richter Adams, Mister Fitzgerald, dies ist meine Zeitmaschine. Es ist nun der Augenblick gekommen, auch das letzte Geheimnis zu lüften, das mich umgibt. Ein schreckliches und grausames Geheimnis.
Nun wird es sich entscheiden, wohin mein weiterer Weg führen wird. Es liegt in ihrer Hand.
Ich gestehe, Mister Simon und Mister Harolds  ermordet zu haben."
Hollyfields Wort trafen uns wie ein schwerer Schlag. Ungläubig und entsetzt blickten wir ihn an. Doch Hollyfield war noch nicht am Ende. An mich gewandt fuhr er fort: " Weiterhin starb ihr Gehilfe Stearn alleine durch mein Tun. Sie, Mister Hemmington,  waren das Ziel meines Anschlags."
Ein Kloß lag in meinem Hals und mein Magen krampfte.
"Ich sorgte überdies für die Entdeckung der Liebesaffäre zwischen dem einfältigen Stone und der armen Lady Burleigh", schob Hollyfield leise nach. Wir sahen uns an. Sir Williams Miene wirkte wie versteinert und auch dem armen Fitzgerald stand der Schreck tief ins Gesicht geschrieben. Nur Richter Adams, solche Geständnisse wohl gewohnt, blickte noch immer regungslos auf Hollyfield.
"Sie werden sich fragen, warum ich ihnen dieses Geständnis mache und nicht einfach schweige, wo doch niemand irgend einen Verdacht gegen mich hegte.
Ich weiß, dass ich bald sterben werde und die Folgen meiner Sünde selbst tragen muss. Doch mein Tod in der Gegenwart wäre nutzlos und er könnte doch so sinnvoll für die Menschheit der Zukunft sein. Ich bereue mein schändliches Tun zutiefst und könnte ich meine Taten ungeschehen machen, dann würde ich nicht zögern. Doch es ist mir nicht möglich, denn ..."
"Mein Gott, Hollyfield, sie sind ein Mörder. Was hat sie nur zu diesen Untaten getrieben?", fiel ihm Richter Adams entrüstet ins Wort.
"Schulden waren es, Schulden und die Aussicht auf Geld, auf die Möglichkeit, meine Arbeit fortsetzen zu können. 10.000 englische Pfund, der Preis, ausgelobt von der wissenschaftlichen Gesellschaft für das interessanteste und vielversprechendste Projekt dieses Jahres.
Immer wieder stand ich vor der Lösung des Rätsels, doch es gab Rückschläge. Zeitraubende aber auch kostspielige Rückschläge. Ich handelte wie im Rausch. Meine Arbeit verschlang unterdessen Unmengen an Geld.  Zuerst kostete sie mich mein Vermögen und als dies verbraucht war, lieh ich mir Geld bei den Banken. Doch auch das reichte nicht, so ging ich zu zwielichtigen Kreditgebern. Mein Anwesen, die Labors. Alles ist mittlerweile verpfändet.

Als sie mich damals einluden und mir die Aussicht auf eine riesige Summe eröffneten, wusste ich, dass dies meine letzte Chance war, mein Anwesen, die Labors, mein Forschungsprojekt, ja überhaupt mein ganzes Leben zu retten. Da ich mir nicht sicher war, dass ich meine Arbeit rechtzeitig beenden konnte, beschloss ich, meine Konkurrenten aus dem Weg zu räumen, so dass der Jury gar keine andere Möglichkeit verbleiben sollte, als mir den Preis zuzusprechen. Damals war ich bereits in der Lage  durch die Zeit zu wandern. Der Aufenthalt in der anderen Zeitzone war zwar begrenzt, jedoch ausreichend für meine Vorhaben. Also las ich alles über meine Opfer, forschte ihnen nach, studierte sie. Ich alleine kannte ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und auch ihre Zukunft.
Also folgte ich ihnen und schlug zu, wann immer sich die Gelegenheit bot. Die Explosion in Simons Labor, der Sturz des armen Harolds, aber auch der Tod von Hemmingtons Gehilfen waren mein unglückseliges Werk, das ich zutiefst bereue."
Erschöpft betupfte sich Hollyfield mit einem Taschentuch die schweissbenetzte Stirn. Die Gesichter der Anwesenden schienen zu glühen.
Nachdenklich blickte Hollyfield zu Boden. Leise fuhr er fort: "Obwohl ich sie, Mister Hemmington, bereits tot vor mir liegen sah, ging mein Anschlag fehl. Es war ... eine Ironie des Schicksals. Ich kann es mir bis heute nicht erklären, welchem Zufall es zu verdanken ist, dass sie noch Leben. Wahrscheinlich gibt es mehrere Vergangenheiten oder die entstandene Paradoxie zeigte bereits ihre Wirkung. Ein paar Tage nach dem Anschlag auf Stearn, stieß ich aus Zufall auf die Lösung des Rätsels.
Doch noch etwas wurde mir an diesem Tag klar, ich hatte umsonst gemordet. Hatte ich zuvor mein Gewissen immer damit beruhigt, alles für die Wissenschaft, für den Fortschritt, für die Menschheit getan zu haben, so zerbrach mein Lügengebäude und drohte mich selbst mit in den Abgrund zu reissen. Einen ganzen Tag lang war ich dem Wahnsinn nahe. Wahrscheinlich war dies die erste Strafe, die Gott mir zugedacht hatte."
Ich brauchte einige Augenblicke, bis ich es fassen konnte. Dieser kleine Zwerg, dieser fahrig und zerbrechlich wirkende Mann war ein Mörder.
Doch auch den anderen schien es ähnlich zu ergehen. Richter Adams war der erste, der sich fasste.
"Meine Herren, sie werden Hollyfield nicht aus den Augen lassen. Ich gehe unterdessen und informiere die Polizei. Hollyfield sie sind ein Ungeheuer und gehören hinter Schloss und Riegel, bis Recht über sie gesprochen wird", sagte Richter Adams bestimmt und wandte sich um. Doch der Colonel hielt ihn zurück und sagte: "Meine Herren, der Fall scheint schwieriger, als sie glauben. Noch nie zuvor befanden sich Menschen in einem solchen Dilemma. Als Sterblicher bin ich geneigt, wie sie dieses Ungeheuer, das aus niederen Beweggründen gemordet hat, der Justiz zu übergeben. Doch als bewußter Mensch, als Wissenschaftler, glaube ich an unsere Verantwortung gegenüber unseren Nachkommen. Richter Adams, wenn wir jetzt die Polizei informieren, dann wird Hollyfield sterben. Aber in zweihundert Jahren sterben unsere Nachfahren mit ihm."
Richter Adams blickte Fitzgerald ungläubig an. Er schien erschüttert über die Worte seines Freundes. Doch Fitzgerald hatte Recht.
"Und warum haben sie Abcott ermordet?", fragte ich schließlich in die allgemeine Aufregung, den Blick fest an Hollyfields Augen geheftet.
"Glauben sie mir", antwortete Hollyfield sogleich, "Der Tod von Abcott muss ein Zufall gewesen sein. Ich schwöre ihnen, ich habe nichts damit zu tun. Warum sollte ich sie belügen, was hätte dies jetzt noch für einen Sinn."
Ich glaubte Hollyfield, doch schon traf ihn die nächste Frage des Richters.
"Wenn sie all diese Möglichkeiten besitzen und quer durch Zeit und Raum reisen können, warum machten sie die Morde nicht ungeschehen?"
Hollyfield lächelte. Ich wusste, dass er diese Frage erwartet hatte. Er ließ sich etwas Zeit, schließlich antwortete er: "Mittlerweile weiß ich, dass jede Veränderung, jeder Mord, den ich ausführte und zu dem ich in die Vergangenheit reiste, den Sog des noch immer geöffneten Zeittunnels auf die Gegenwart verstärkte. Weitere Veränderungen wurden zu einer Paradoxie führen, die unsere gegenwärtige Welt in ein Chaos stürzt. Verstehen sie. Nicht mein Wirken in der Zukunft ist der Grund, sondern meine Taten in der Vergangenheit."
Der Richter blickte verständnislos. Er schien Hollyfields Worte nicht zu begreifen. Sekunden verrannen wortlos. Schließlich brach Sir Williams das bedrückende Schweigen.
"Hollyfield, ich verstehe was sie meinen. Die Vergangenheit zu ändern, hieße das Buch des Schicksals mit der Tinte des Teufels zu fälschen. Damit wäre aber das Heute ebenso eine Lüge wie das Morgen."
Hollyfield nickte stumm. In unseren erschrockenen Gesichtern lag die schmerzhafte Erkenntnis, dass
dieses Geständnis mehr war, als nur eine Beichte. Die Zukunft der Menschheit stand gleich zweimal auf dem Spiel. In der Gegenwart und in der Zukunft.
"Ich verstehe, Hollyfield will unsere Absolution. Doch wir können ihm weder die begangenen Sünden an den unglücklichen Opfern seiner Verbrechen noch das Verbrechen an Gott vergeben. Dies steht uns nicht zu. Unser Schöpfer wird letzten Endes unser aller Richter sein", versuchte Sir Williams eine Erklärung für das Geständnis Hollyfields zu finden.
"Meine Herren, wir dürfen einen Mörder der Gerechtigkeit nicht vorenthalten. Er hat eine schwere Schuld auf sich geladen. Die Schuld schreit nach Sühne. Wir können ihm nicht helfen. Letztlich ist ein Entkommen in die Zukunft ebenso eine Flucht, wie ein Ausbruch in der Gegenwart. Wenn wir ihn dabei unterstützen, dann billigen wir seine Taten und laden seine Schuld auf unsere Schultern. Es bleibt uns nichts anderes, wir müssen ihn dem Gesetz überstellen", wandte Richter Adams nüchtern ein.
"Somit überantworten wir die Welt ihrem unumkehrbaren Ende", resümierte Fitzgerald nachdenklich. Der Richter schaute den Colonel entrüstet an.
"Was meinen sie damit?"
"Nun", entgegnete Fitzgerald, "Die Frage nach der Schuld ist in diesem Falle mehrschichtig zu beurteilen. Sicher, Hollyfield hat gemordet. Doch sind wir nicht sogar die Anstifter dieser Morde? Haben wir ihn durch unser Preisgeld nicht erst zu seinen Taten getrieben? Sicher, wir taten es im guten Glauben. Wollten wir doch nichts anderes, als durch unsere Stiftung der Wissenschaft und somit der gesamten Menschheit dienen. Doch nun müssen wir erkennen, dass der Fortschritt der Wissenschaft auch Gefahren in sich birgt. Erst wir machten Hollyfield zum Täter. Und nun spielen wir uns als Richter über die Welt auf. Wir können uns unserer Verantwortung als Forscher und Eiferer der Wissenschaft nicht entziehen. Stellen wir Hollyfield vor ein Gericht, dann wird er verurteilt und in einer Zelle enden. Damit aber verurteilen wir unsere Nachfahren zum sicheren Tod. Es sei denn, einer von uns würde durch das Zeittunnel in die Zukunft reisen. Doch ich frage sie, wer von uns würde diesen Wahnsinn, den eine Reise durch die Zeit für das Individuum bedeutet, auf sich nehmen, einmal abgesehen davon, dass die Gefahr bestünde, von Replikanten oder sogar den Menschen dieser Zeit als Feind getötet zu werden."
"Juristisch tragen wir keine Verantwortung für die Taten dieses Monstrums", stellte Richter Adams klar.
Sir Williams schüttelte den Kopf, er schien Fitzgeralds Ansicht zu teilen. So antwortete er: "Richter Adams, vergessen sie die Justiz. In diesem Fall taugt diese Betrachtungsweise nicht. Sehen sie es als Mensch, als Geschöpf unserer Zeit. Es sind die Forscher, die Wissenschaftler, die wissensdurstigen Eiferer, welche unserer Welt Fortschritt und Niedergang zugleich bringen. Wir lobten einen Preis aus und forderten dadurch die Taten des Professors heraus. Wir verleiteten Hollyfield gleichermaßen dazu, das Mysterium der Zeit enträtseln zu wollen, als auch die Morde zu begehen. So zieht sich ein unsichtbares Band von der Vergangenheit bis in die Zukunft. Auch diese ... Replikanten ... oder wie immer man sie auch nennt, sind nur Produkt fehlgeleiteter Wissenschaft ohne jegliche Moral und Ethik. Somit stehen wir in der Pflicht. Professor, reisen sie in unsere Zukunft. Helfen sie den dortigen Menschen und zeigen sie durch diese Tat ihre aufrichtige Reue."
Hollyfield liefen dicke Tränen über die Wangen. Er war die ganze Zeit über zusammengesunken vor uns gestanden und es kam mir vor, als ob wir bereits über ihn verhandelten. Doch wie man es drehte und wendete, es musste gehandelt werden. So stimmte auch ich, obwohl ich an den armen Stearn denken musste, dem Vorschlag Sir Williams zu.
Nur noch der Richter blieb skeptisch, doch er schien die prekäre Lage, in der wir uns befanden, begriffen zu haben, denn schließlich sagte er: "Angesichts des drohenden Notstandes stimme ich einer weiteren Reise Hollyfields in die Zukunft zu. Doch ich gebe mich der inständigen Hoffnung hin, dass Hollyfields Sünden nicht vergessen werden. So soll denn das einzig wahre, das höchste und heiligste Gericht über ihn urteilen. Der Herr möge uns vergeben."
Die Worte des Richters klangen salbungsvoll und es schien mir, dass Adams froh war, dass ihm das Wort "Notstand" angesichts der Situation noch rechtzeitig eingefallen war. So konnte er wenigstens vor sich selbst sein Gesicht wahren. Hollyfield fiel erleichtert auf die Knie und schaute schuldbewusst zu Boden.
"Ich verspreche ihnen, dass ich meine Aufgabe erfüllen werde. Ich wusste, als ich ihnen meine Taten eingestand, dass ich ihre Vergebung niemals erhalten werde, doch ist mir ihr Vertrauen Lohn  genug. Ich war nie besonders gläubig, doch bedeutet es mir viel, dass ich zumindest einen Teil meiner Schuld abtragen kann. Ich weiß selbst, verzeihen wird der Herr, so er mich überhaupt zu sehen wünscht, wohl nie.
Ich werde mich nun in diese Kabine begeben und mich von dieser Welt für immer verabschieden", sagte er mit brüchiger Stimme. Ich sah, dass es ihn eine ungeheure Kraft kostete.
"Professor, tun sie, was sie tun müssen. Bringen sie diesen Leuten das Magnesium ", sagte Fitzgerald nachdrücklich. Hollyfield nickte und sagte entschlossen: "Ich werde es tun."
Seine Stimme wurde leiser und klang gezwungen, schließlich ergriff ihn erneut diese kräftige unsichtbare Faust, heftiger und schlimmer noch als zuvor. Diesmal vergingen fast zehn Minuten, bis Hollyfield wieder einigermaßen kräftig genug war, um sich aufzurichten.
"Einer von ihnen wird mir helfen müssen", sagte Hollyfield unter Schmerzen und blickte in unsere stummen Gesichter. Die anderen standen wie versteinert vor ihm, keiner regte sich. Die Sekunden verrannen. Schließlich trat ich vor und sagte:" Ich werde ihnen helfen, sagen sie mir nur, was genau ich tun muss."
Ein gezwungenes Lächeln legte sich über die schmerzverzerrten Gesichtszüge des Professors, doch ich wusste, dass in diesem Lächeln ehrliche Dankbarkeit steckte. Er schluckte und räusperte sich.
"Während ich mich in meine Kabine begebe, werden sie draußen vor der Türe warten. Sie dürfen auf keinen Fall hereinkommen, so lange die Anlage läuft. Erst wenn keinerlei Aktivität in diesem Raum mehr zu sehen ist und das Anzeigeinstrument draußen neben der Tür genau auf 0 stehen bleibt, müssen sie den Hebel des Stromgenerators in die Gegenrichtung führen und warten, bis er einrastet. Ihnen bleiben dann etwa fünf Minuten, um das Haus zu verlassen. Ansonsten kann ich für nichts garantieren."
"Aber das ist ja Wahnsinn", warf Richter Adams ein.

"Aber unsere einzige Chance", antwortete Hollyfield.
Ich schluckte, denn ich wusste genau, was Hollyfield meinte. Die Stromüberlastung der Spulen und des Generators würde nicht nur die Zeitspalte schließen, sondern auch zu einer gewaltigen Explosion führen, die das ganze Haus in Mitleidenschaft ziehen könnte.
Doch dies war keine normale Situation, dies war ein ... Notstand, und es musste gehandelt werden.  Ich musste nicht mehr überlegen, mein Entschluss stand fest.
Richter Adams, Fitzgerald und Sir Williams zogen es vor, das Haus zu verlassen. Als Fitzgerald an mir vorüberging sagte er einfühlsam: "Ich wünsche ihnen Glück Hemmington, sie müssen tun, was getan werden muss. Auch Sir Williams legte mir ermunternd die Hand auf die Schulter bevor er ging. Schließlich befanden wir uns alleine im Keller, Hollyfield und ich. Mein Mund war trocken und mein Magen schmerzte, doch ich wusste, dass dies meine Anspannung war.
"Mister Hemmington, was sie heute für mich tun, tun sie für die gesamte Menschheit. Ich weiß nicht, ob es Coran gelingt, die Menschen vor dem Untergang zu retten, doch ich bin sicher, dass dies der richtige Schritt ist. Sie können sich heute die technischen Veränderungen der Zukunft nicht vorstellen. Licht, das tötet, Fahrzeuge, die auf einem magnetischen Kissen schweben, Menschen, die in einem Labor gezeugt werden und in großen schwarzen Kästen innerhalb kürzester Zeit zu Erwachsenen heranreifen, aber bei alledem ist es der Mensch selbst, der schließlich und endlich sein Ende herbeiführen wird. Es wird kein göttliches Feuer vom Himmel regnen, die Erde wird nicht im Wasser versinken, nein, die Menschen werden sich selbst vom Antlitz dieses Planeten tilgen. Menschen  wie Coran und Fiore oder auch ihnen, Mister Hemmington, ist es zu verdanken, dass dieses Ende nicht längst schon über uns alle gekommen ist. Sie besitzen den Mut und die Entschlusskraft das Richtige zu tun, auch wenn es vielleicht das eigene Leben kostet."
Dann umarmte mich der Professor herzlich, ging in den Raum und schloss die massive Tür. Durch die dicke Glasscheibe beobachtet ich, wie er in der Kabine verschwand. Ich war versucht ihm nachzuwinken, so wie man es bei einem Abschied tut, doch der Gedanke an Stearn hinderte mich daran. Mir wurde bewusst, ich half einem Mörder. Dann startete der Professor von innen die Anlage. Ein leises Brummen erfüllte den Raum, schließlich steigerte es sich zu einem infernalischen Brausen. Das Licht fiel aus, doch durch die trübe Scheibe in der Türe fiel ein grünlicher Schimmer und tauchte das Labor in einen fahlen Schein. Der Zeiger des Anzeigeinstrumentes bewegte sich langsam zur Spitze der zehnstelligen Skala. Als der Zeiger die fünf passiert hatte, war das Brausen  so laut geworden, dass ich meine Ohren zuhielt. Bei sechs begann die massive Türe zu vibrieren, und ein paar Reagenzgläser fielen von einem Regal. Ich konnte sehen, wie das dünne Glas in tausend kleine Splitter zerbrach, als es auf den steinernen Boden stürzte. Der Zeiger wanderte weiter. Bei sieben vibrierte der ganze Raum und ein Prickeln durchflutete meinen Körper. Der Magnetismus ionisierte die Luft und als ich mich an dem metallenen Regal an der Wand festhalten wollte, spürte ich einen schmerzhaften Schlag und meinte auch einen kleinen Lichtbogen der elektrischen Entladung gesehen zu haben. Nun, da der Zeiger knapp vor der Acht stand, war das Brausen zu einem schrillen, ohrenbetäubenden Pfeifen geworden, das selbst durch die Hände in meine Ohren drang und unangenehm schmerzte. Plötzlich ebbte der Lärm ab, alles schien sich wieder zu normalisieren. Der Zeiger des Anzeigeinstrumentes wanderte gegen Null. Kurz darauf war es ausgestanden. Das Licht flammte auf, und wenig später deutete nichts darauf hin, dass soeben ein Mensch durch die Zeit gereist war. Doch nun war es an mir, dafür zu sorgen, dass sich die entstandene Zeitspalte für immer schloss. Schon als ich die massive Türe zur Kammer öffnete, schlug mir ein übler Geruch entgegen. Es roch nach verschmolzenem Bakelit, und der Gestank der Elektrizität zog in meine Nase. Ich ging auf die Kabine inmitten der Kammer zu und öffnete die Tür. Hollyfield war verschwunden. Nachdenklich schaute ich mich um, doch dann fielen mir Hollyfields Worte wieder ein. Es muss schnell gehen. Also ergriff ich den Hebel des Generators, der sich mittlerweile wieder in Mittelstellung befand und zog ihn nach unten. Funken stieben aus einigen lockeren Anschlüssen hervor und das leise Summen erklang erneut. Ich spürte, wie der Hebel einrastete. Dann wandte ich mich um und verließ die Kammer. Das Licht flackerte, dennoch warf ich einen kurzen Blick auf das Anzeigeinstrument. Der Zeiger war wieder in Bewegung geraten und hielt auf die 1 zu. Als ich mir sicher war, alles richtig gemacht zu haben, ging ich weiter. Ich befand mich gerade im Gang vor dem Labor, als das Licht erlosch. Verflucht, dachte ich noch bei mir, daran hätte ich denken sollen. Mit blieb nichts weiter übrig, als mich durch die Dunkelheit zu tasten. Schließlich fand ich die Treppe. Ich stolperte und raffte mich sofort wieder auf. Unsicher hastete ich die Stufen hinauf. Ich strauchelte mehrmals.  Meine Hände tasteten sich am Eisengeländer entlang. Als ich oben ankam, hatte sich das Brummen längst in ein übernatürliches Brausen verwandelt. Ich spürte, dass ich nicht mehr viel Zeit hatte. Kurz verhielt ich, um mich zu orientieren, doch ich hatte vergessen, welche Richtung ich einschlagen musste, um den Ausgang zu erreichen. Nochmals schalt ich mich einen Idioten, weil ich nicht daran gedacht hatte, dass es während der elektrischen Aufladung der Spulen dunkel im Haus werden würde. Vorsichtig tastet ich mich weiter. Nach rechts führte mein Weg. Das Haus schien leicht zu vibrieren. Aus dem Brausen war wiederum dieses hohe und schmerzhafte Pfeifen geworden. Ich stolperte über irgend etwas und  stürzte, hart schlug ich auf, doch ich erhob mich sofort wieder. Mein Kopf schmerzte. Dann hastete ich weiter. Das Haus begann zu schaukeln. Endlich sah ich einen erlösenden Lichtstrahl von draußen hereinfallen. Ich rannte darauf zu und stürzte durch die Tür. Als ob der Leibhaftige hinter mir her war, rannte ich aus dem Haus. Gerade noch rechtzeitig, ehe im Keller das Inferno losbrach. Es kündigte sich durch ein stetig steigerndes Donnergrollen an. Ich hetzte den kleinen Weg entlang und schaffte es noch hinaus auf die Straße, ehe sich das Grollen in einem lauten Donnerhall entlud. Der Boden wankte und ich stürzte nieder. Dann erschütterte eine weitere Explosion die Nacht. Ich hörte das Zerspringen von Glas. Schließlich folgte ein greller Blitz. Als ich mich umwandte und auf das Haus blickte, sah ich die hohen Flammen, die aus dem Dachstuhl schlugen. Wenig später brannte das Gebäude lichterloh.
Fitzgerald kam auf mich zu. Langsam erhob ich mich.
"Oh Gott, Hemmington, sind sie verletzt?"
Ich schüttelte nur den Kopf. Das Blut an meiner Stirn bemerkte ich nicht.
Das laute Prasseln des Feuers machte eine weitere Unterhaltung unmöglich. Eine Viertelstunde später saß ich abseits auf einer kleinen Mauer und blickte, noch immer wie paralysiert, in die Flammen. Als etwa eine weitere Viertelstunde danach die Londoner Feuerwehr eintraf, stürzte der Dachstuhl ein.
"Ist noch jemand im Haus?", fragte mich einer der Uniformierten. Instinktiv sagte ich: "Ja, der Eigentümer, Professor Hollyfield, doch dem ist nicht mehr zu helfen."

Als ich zwei Stunden später mit Fitzgerald, Sir Williams und Richter Adams zurück nach Deptford fuhr, schworen wir uns einhellig, niemals über den heutigen Abend zu sprechen. Auch dem Polizisten, der am Brandort erschien, erzählten wir, dass Professor Hollyfield bei einem Experiment in seinem Haus umgekommen war. Genauso stand es am darauf folgenden Tage auch in der Times.

Dies alles ist nun ein halbes Leben her. Hollyfield tauchte nie mehr auf und ich hoffe, dass er seine Mission erfolgreich beenden konnte, ehe der Tod über ihn kam, oder besser gesagt, noch kommt.  Noch mehr aber hoffe ich, dass es Coran und seinen Gesellen gelingen wird, diesen unseligen Krieg mit den Replikanten zu beenden.
Die 10.000 Pfund gingen natürlich an mich und sie ermöglichten mir, meine Forschungsarbeit fortzusetzen. Ich reiste ein Jahr später nach Afrika.
Der Tunnel im Zeitstrom blieb versiegelt und ich hoffe, dass dies auch so bleibt.
Richter Adams starb zwei Jahre nach Hollyfields Zeitreise an Herzversagen. Vier Jahre später wurde Sir Williams zu Grabe getragen, auch er starb eines natürlichen Todes. Fitzgerald starb 1937 auf einer Reise durch Ägypten an einem Schlaganfall.
Vor seinem Tod trafen wir uns noch oft, doch niemand von uns verlor auch nur eine Silbe über die unglaubliche Zeitreise des Professors William C. Hollyfield.

Da nun auch ich bald mein kühles Grab finden werde, will ich dieses Geheimnis, so unglaublich und unfassbar es auch sein mag, mit ihnen teilen.
Doch ich weiß genau, dass mir niemand Glauben schenken wird.
Dennoch frage ich sie; Was ist Zeit?
Nicht viel mehr als eine Illusion ...

Denken sie darüber nach!

Sir Walter Reginald Hemmington   22. Oktober 1973, London,
Goswell Road - Islington