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ANTIGONE

Ein Drama von Sophokles umgearbeitet als Erzählung von Ulrich Hefner

Die Schlacht um Theben war geschlagen, doch in den Herzen tobte der Kampf weiter.
Blut war geflossen, in Rinnsalen, in Lachen, in Bächen und Strömen. Das Blut der Edlen, das Blut der Getreuen, der einfachen Leut, das Blut der Brüder.
Eteokles starb durch Feindeshand, heldenhaft und voller Ehre. Thebens Schutz war sein Begehr. Polyneikes aber, der Bruder, starb als Verräter an seinem Volk. Als Abtrünniger, ehrlos, ruchlos, ohne Recht.
Der Hades sollte ihm verwehrt bleiben, auf ewig, immerdar. Vermodern sollte er auf dem Felde, verdorren wie eine abgerissene Blume. An seinem Fleisch sollten sich Hunde und Vögel nähren und das Geschmeiß, trug er doch des Feindes Tracht.
Niemand sollte ihn bestatten, seinen Körper berühren, ihn der Erde weihen. Niemand. Und sollt es doch geschehen, so erwartete denjenigen der Tod. So verhieß des Königs Dekret.
Doch Ödipus, der Vater, zeugte nicht die Brüder allein, auch Antigone und Ismene, die Schwestern, waren von gleichem Blut und gleicher Leibesfrucht.
Noch am selben Tage brachten die Thebener ihren Helden Eteokles auf seinen letzten Weg. Die Erde bedeckte seinen Körper und seine Seele stieg hinab in den Hades, wo er auf immer und ewig den Göttern nahe sein durfte.
Polyneikes aber, lag in seinem Blut, auf dem staubigen Feld, erschlagen, und Antigones Tränen trafen die Erde, ihr Herz wog schwer von des Bruders Los. Dem Schrei des eigenen Blutes folgend, der Familie zur ehr, schlich sie hinaus aus den Toren Thebens. Unbeachtet von den Wachen des Königs, und aufrecht doch, einem höheren Gesetze folgend als dem eines weltlichen Fürsten, ging sie festen Schrittes hinaus auf das blutige Feld. Den Göttern zu dienen war ihr Los. So warf sie Erde und Staub auf den Unglückseligen, damit auch er hinabgleite in das ewige Licht.
Die Wachen jedoch erspähten sie bei ihrem Tun, und schleppten sie vor den König.
War es Unwissenheit, die sie zu dieser Torheit verleitete, war es ihr unbedarftes Wesen, die Natur eines Weibes. So nur konnte es sein.
Wie sollte er handeln, er, der König, der weltliche Fürst.
Die Jungfrau, des Haimons Braut, hatte sich versündigt gegen das Dekret.
Nun stand sie hier vor ihm und bereute nichts. Aufrichtig gestand sie die schändliche Tat, und die Götter, so sprach sie, waren mit ihr.
Sie forderte ihn heraus, ihn, den König.
Des Haimons Vater, König Kreon stand in seinem Wort.
Sollte er wegen der Tat dieser Unglücklichen sein Gesicht, seine Achtung verlieren, seinen Leumund. Ohne Zweifel, als künftige Braut des Königssohns stand sie ihm nahe, doch das Volk, es sollte wissen; Der König stand zu seinem Wort.
Erregt von der Kunde stürzte Haimon hinzu, zu retten was ihm lieb geworden. Er sprach mit seinem Vater, zeigte ihm den einen Weg, gewieft, im Guten, er redete auf ihn ein. Er redete, er schrie, er haderte, er bettelte, doch vergebens war seine Müh.
Kalt blieb das Herz des Vaters, kalt obschon des Sohnes Tränen die Erde benetzten.
Kalt wie Eis, so forderte er überdies von seinem Sohn, so wie es sich geziemt, zum Bleiben auf. Vor Haimons´ Augen sollte das unwürdige Weib dem Tod begegnen.
Das Urteil ward gesprochen, unwiderruflich, endgültig, unumstößlich und unabdingbar.
Haimon konnte es nicht ertragen, er stürzte davon, er rannte, er hetzte, er strauchelte, er fiel und raffte sich auf. Nicht an des Vaters Seite war des Jüngling Haimons Platz.
Nur der Gedanke, hinfort, davon, hinaus, erfüllte dessen Geist.
Und sein Ruf hallte hinaus in die Nacht.
Was ist das für ein Gesetz von einem Menschen, für Menschen gemacht, ohne Menschlichkeit und der Götter Willen zuwider. Es ist nicht den Atem wert, den es zur Verkündung braucht.
Vielleicht brachte dies dem Vater der Einsicht nah und er würde seine Torheit erkennen. Nicht Antigone war einfältig, Kreon, der Vater, der König selbst war es. Versündigte er sich doch an einem viel höheren Gesetz, als dem seinen. An dem Gesetz der Familie, dem ungeschriebenen Gesetz der Götter.
Antigone hatte nur getan, was zu tun war, so meinte auch das Volk. Der König jedoch hörte nicht auf die Stimme. Lebend eingemauert in der kalten Gruft wartete Antigone auf ihren Tod.
Das Volk weinte.
Teiresias, der blinde Seher, des Königs Ratgeber und Vertraute, eilte rasch zu des Kreons Heim. Zu verhindern, was verhindert werden mußte, dies allein trieb ihn voran. In dessen Haus traf er den weltlichen Fürst.
Spät kam er, doch, wohl nicht zu spät.
König Kreon achtete den Seher, achtet sein Wissen und vertraute seinem Rat. Und Teiresias erzählte dem König von seiner Vision, deutete ihm die Zeichen. Und Kreon vernahm die Worte der Weisheit, vernahm, wie der Vogel sich das Gefieder zauste, blutig, blutig mit scharfen Krallen und es wurde ihm gewahr. Er selbst war dieser Vogel. Er selbst zauste sich mit den Krallen der Eitelkeit, krächzte hinaus seinen Hochmut, seine Unverfrorenheit gegen die Götter, gegen die Familie, gegen . . . Antigone, ja Antigone.
Und Kreon bereute, erkannte den Frevel, er rannte, er hastete, er sauste, stürzte, flitzte, so schnell ihn seine Beine trugen, hinaus, hinauf zum Hügel, wo Antigone sollte finden, ihr kühles Grab.
Auch Heimes, der Sohn eilte herbei. Froh um des Vaters Sinneswandel.<
Sie öffneten die Gruft, brachen einen Mauerspalt, der Sohn eilt hinein, da sieht er sie. Hängend, leblos baumelnd, erhängt in seidener Schlinge.
Antigone war des Wartens überdrüssig, so vollendete sie mit eigener Hand das Werk, was der Herrschsüchtige zuvor begann.
Haimon brach schluchzend zusammen. Abermals rannte er fort, hinweg von dem nunmehr verhaßten. Doch diesmal ohne Wiederkehr.
Soldaten fanden seine Irdische Hülle, das Schwert in der Brust, gestorben durch eigene Hand.
Sie sandten einen Boten an des Kreons Haus, zu berichten, was Grausames  geschehen war.
Der Bote eilte zum Haus, doch nicht Kreon traf er dort, Eurydike wars, des Königs Gemahlin.
Und so berichtete er ihr von der unheilvollen Stund.
Eurydike folgte mit Schrecken des Boten Bericht. Stumm blieben ihre Lippen, doch ihr Herz weinte laut.
Niemand hörte ihre stummen Schreie, niemand außer den Göttern in der Unterwelt
Zurück ins Haus, alleine wollte sie sein. Alleine mit ihrem unsagbaren Schmerz.
Die Wachen fanden ihren Körper, unzählig waren ihre Wunden, doch die größte Wunde trug sie in ihrem toten Herzen. Dem Sohne nahe sein, das war ihr Begehr.
Gestorben wie zuvor Haimon, Mit eigener Hand, unwiederbringlich. Sie hatte sich auf ihre langen Reise gemacht, und hinunter in den Hades führte sie ihr Weg.
Kreon verlor alles, alles was ihm lieb geworden, was nützte ihm nun all die Ehr.
Der Wolkenbruch durchnäßte sein Haar und durchdrang seien Kleidung. Er zitterte, doch es war nicht die Kälte. Seine Wangen wurden feucht, doch es war nicht der Regen. Er spürte ein Schaudern, doch es war nicht der Wind. Es war in Ihm.
Regentropfen fielen auf das Grab und sammelten sich zu einem Rinnsal. Die Blume war verdorrt, doch der Schmerz bohrte nach wie vor in seiner Brust.
Viele Tage waren vergangen und König Kreon stand an Eurydikes Grab. Hier lag sein Weib, sein Lebensinhalt und seine Liebe. Sie fehlte ihm. Sie fehlte ihm am Morgen, am Mittag und am Abend - aber am meisten fehlte sie ihm des Nachts.
Kreon trieb wie ein Blatt im Wind. Seine Zeit war gekommen. Er nahm das Schwert und erhob es. Auf seine Brust gezielt, blitzte das kalte Stahl im dumpfen Licht.
Der blinde Seher stand abseits. Kreon hatte ihn nicht bemerkt. Und Teiresias sah, was bald geschehen würde. Seine Augen waren blind, doch er sah es mit dem Herzen.
Der laute Schrei des Königs war kaum verhallt, das Schwert noch nicht gestoßen, da trat er hervor.
"Du Tor, schrie er dem König zu, willst dich davonstehlen aus dieser Welt."
Der König aber hielt inne, ließ ab von seinem Tun. Klirrend fiel der Stahl zu Boden.
Der König aber sank auf die Knie. Die Hände schlug er vors Gesicht und lauthals erklang sein Klagelied.
Teiresias trat an ihn heran. Sanft legte er die Hand auf die Schultern.
"Alles hab ich verloren, alles wofür es sich zu Leben lohnt. Von Haß war ich zerfressen. Die Gebote der Götter trat ich mit den Füßen. Ich trage keinen Lebensmut mehr in mir. Ich sehne mich nach dem Tod, nach meiner Familie, die nunmehr bei den Göttern wohnt", schluchzte der König.
"Du hast noch immer nicht gelernt. Nicht an uns ist es zu richten. Wir sind auf Seiten derer, die gerichtet werden. Die Götter wollen dich nicht. Soll dein Geist auf ewiglich an den Gestaden des Styx ruhelos umher wandeln? Charon ist noch nicht bereit. Noch ist für dich kein Platz in seinem Boot". Eindringlich sprachs der Seher.
"Qualvoll ist es einem ums Herz, wenn man verliert, was einem lieb und teuer. . ."
". . . und doch galt dies nicht für Antigone", führt Teiresias fort.
Eine bleierne Stille legte sich über den Ort.
"So will ich dir sagen, was ich im Dunkeln hab gesehen, sprach der blinde Mann, ich sah dich sitzen auf Thebens Thron. Ein König, ehrbar und weise, auf den das Volk war stolz. Der regiert im Einklang mit den Göttern und sühnt seine Schuld, durch seine Taten. Das ist dein Schicksal.
Das Volk von Theben ist deine Bestimmung, wir sind von nun an deine Familie. Eine Prüfung ist, von Göttern gesandt. Besteh´ und immer nah wirst du Haimon und Eurydike sein. Wiedersehen wirst du sie. Auch Antigone, die dir verzieh. Doch greife nach deinem Schwerte und steche es in dein Herz, dann wird dein Blut die Erde tränken. Erlöst wird es sein von irdischer Qual, doch den deinigen wirst du sein für immer fern. So sprachens die Götter, das ist ihr Wille"
Teiresias ging, geführt von dem Jüngling, verließ er den traurigen Ort.
Doch der König weilte lange noch dort, wo die sterblichen Hüllen der Seinen lagen.
Das Schwert jedoch rührte er nicht mehr an.
König Kreon wurde ein König, wie er nie zuvor war. Das Volk liebte ihn. Von Weisheit zeugten seine Entscheidungen, voller Sanftmut war sein Herz.
Er lebte noch lange und als er starb, als Greise starb, beweinte das Volk ihn tagelang.
Und Charon hielt ihm einen Ehrenplatz im Boote frei.
Eurydike, Haimon und auch Antigone warteten im Hades und nahmen ihn auf, als sei nichts geschehen. Doch lange noch sangen die Alten in der sterblichen Welt vom Schicksal des König Kreon, Herrscher zu Theben und König, wie es nur selten einen gab.
Kurzgeschichte